Um ehrlich zu sein, bin ich extrem zwiegespalten, was das Finale angeht.
Ein Teil von mir ist hochzufrieden, es ist der Fan in mir, der sich einfach nur freut, dass eine gute Geschichte ihren Abschluss gefunden hat und ich damit um ein wertvolles Kapitel in meinem Leben reicher bin. Ich freue mich außerdem für Walter und Jesse. Ich freue mich, dass Vince Gilligan am Ende hat Gnade walten lassen und beiden den Frieden zurückgab, den sie auf ihrer Reise nie besessen haben. Ich freue mich, dass so beide Charaktere ein "rundes" Ende finden und die Geschichte ebenso rund zu einem Punkt geführt wird, an dem man das Geschehen getrost verlassen kann.
Ein großer Teil von mir schreit aber auch Zeter und Mordio wegen der Art, wie Vince Gilligan Breaking Bad hat enden lassen. Denn jeder positive Punkt kann hier genausogut als extrem negativer Punkt ins Gewicht fallen. Denn ich glaube, dass sich Vince letzten Endes sehr von seinen Emotionen für die Figuren (Jesse und Walter) übermannen ließ. Wieso sonst sollten sie ein derart versöhnliches Ende verdient haben? Klar, Walter stirbt. Aber bei seinem suizidalen Verhalten kann das ja schon als Zielstrebung ausgelegt werden und auch sein erlöster Gesichtsausdruck der letzten Aufnahme deutet darauf hin, dass der Tod seiner Befreiung gleichkommt. Und ich frage mich ernsthaft: Wieso? Womit hat er das verdient? Ich meine, es lief doch folgendermaßen ab: Mehr als 4 Staffeln lang haben Vince Gilligan und seine Autoren einen fiesen Antagonisten nach dem anderen aus dem Ärmel gezaubert, um zu demonstrieren, dass Walters Verhalten all deren Unmenschlichkeit noch zu übertrumpfen vermag. Er hat erfolgreich bewiesen, dass er bereit war, der Böseste unter den Bösen zu sein, der König der Lügner und Meister der Manipulation. Was ist denn passiert, dass er uns hier plötzlich im Kitschgewand der Selbstgerechtigkeit präsentiert wird und ihn selig grinsend abtreten lässt wie einen Helden? Was für eine Erkenntnis hat ihn schon erschüttert, welche Katharsis hat er schon durchlaufen? Er, der er der amoralischste unter den Amoralischen war, hat nicht nur ein vergleichsweise schmerzloses Ende erhalten, sondern auch noch eines, dass er zu seinen Bedingungen und zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt diktieren konnte. Zudem, und das darf man ruhig groß schreiben, WUSSTE er, dass er abtrat, etwas, was seine Widersacher nie wissen konnten. Und ich frage mich ernsthaft... Soll das die Moral sein, von der uns Breaking Bad immer weismachen wollte, dass es sie gibt? Ich zitiere an dieser Stelle einfach mal Jesse:
"If you just do stuff and nothing happens... What's it all mean?"
Ja genau, was hat das zu bedeuten? Vier Staffeln lang verfolgen wir Walters Weg zur Spitze und seinen ungebrochenen Willen zur Herrschaft. In Staffel 5 kommen plötzlich aus dem Nichts eine weitere gierige Geschäftspartnerin und ein Haufen Neonazis; die idealen Antipathieträger, die die Serie braucht, um Walter aus der Image-Misére heraus zu manövrieren, in die sie ihn erst durch seine Entscheidungen bugsiert haben. Walter wird vom Thron gestoßen, er ist wieder klein und jämmerlich und erbärmlich, und Bryan Cranston kann das so gut spielen wie kein Zweiter. Nun ist Walter wieder in einer Position, in der er töten und morden und verheerenden Schaden anrichten kann, OHNE dass man ihn dafür zur Rechenschaft ziehen möchte, weil er Empathieträger ist und man ihm einfach alles verzeiht. Aber was sagt das über uns Zuschauer aus? Was sagt das über unser moralisches Empfinden aus? Wenn ich darüber nachdenke, bin ich absolut entsetzt...
Denn was wir im Finale sehen, ist ein Mann, der im Angesicht des eigenen Todes keinen Konsequenzen mehr gegenüber zu stehen scheint. Sie scheinen ganz einfach nicht mehr zu existieren, Breaking Bad hat seine eigenen Gesetze aus den Angeln gehoben. Kurzerhand sterben sämtliche Figuren, die dem Konsens zufolge nach die "wahren" Bösen sind, die von vornherein als Ultraböse konzipierten Charaktere, die keinen anderen Zweck hatten, als den, Walter wieder attraktiv zu machen. Und Walter war ja überhaupt immer nur dann attraktiv, wenn er sich in seiner Underdog-Manier, am besten mit Jesse, gegen jemanden wenden konnte und ihm mit seinem Chemie-Knowhow zeigte, wer eigentlich das Sagen hat. Allmachtsfantasien, wohin man blickt... Und das Finale ist so eine fleischgewordene Allmachtsfantasie. Walter weiß, dass er sterben wird, es ist seine feste Absicht, dort bei den Nazis das Zeitliche zu segnen. Wäre Breaking Bad bis zum Schluss konsequent gewesen, hätte das Universum mit aller Kraft zu verhindern gewusst, dass Walter dort stirbt, sondern hätte ihm mit seiner ganz eigenen nihilistischen Ironie zu verstehen gegeben, dass es eben nicht so funktioniert, wie er es sich wünscht, dass er die Chemie eben nicht begreift, nicht begreifen kann - einfach weil sie mehr ist als nur Elemente und ihre Reaktionen. Es ist so schade, aber Breaking Bad wird am Ende äußerst inkonsequent und von rührseligen Passagen überflutet, in denen man doch nur wieder Mitleid und Erbarmen mit den "Guten" Bösen hat, während die "Bösen" Bösen zurecht ihrem unbarmherzigen Ende entgegentreten dürfen. Wo bleibt das unbarmherzige Ende für Walter?
Doch gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass es etwas in Walter und Jesse gab, was es in keinen anderen Charakteren gab. Wenn Walter diese Folge schon nicht nach irgendwelchen anderen Gesetzen bereit war sein Lebensende auszurichten, so hat er doch zumindest eingestanden, dass er von vornherein vollkommen eigennützig gehandelt hat. Er hat sich seine eigenen Lügen eingestanden. Ebenso tat das Jesse, wenn auch schon viel früher in der Serie. Das unterscheidet beide von jeder anderen Figur hier, die alle in ihrer Rolle, in der sie stecken, aufgehen und gar nicht anders können, als so unmoralisch zu sein, wie sie sind. Das zeigt sich perfekt am Beispiel Skinny Pete und Badger, die auch im Finale einen letzten Auftritt absolvierten. Beides sind Trottel, unfähig über sich selbst und ihren Platz im Leben nachzudenken. Sie können nicht anders, als die kriminelle Rolle zu spielen, die man ihnen zuweist - es ist einfach ihr Wesen. Dabei hatten sie rein äußerlich viel mit Jesse gemeinsam. Auch sie mussten mit dem Verlust von Combo umgehen, auch sie gingen zu den Meetings und haben allerlei schlechte Erfahrung mit Straßenbrutalität gemacht. Und doch haben sie sich nie auch nur einen Zentimeter von dem Fleck gerührt, auf den das Universum sie platziert hat. Genauso Gus, genauso Mike, genauso Saul und alle anderen. Niemand von ihnen schien je irgendwelche Bedenken zu besitzen, welche Entscheidung nun zu treffen war. Jeder von ihnen wusste, wenn es schon nicht im objektiven Sinne "richtige" Entscheidungen waren, was nun das Richtige zu tun wäre. Gus hätte nie anders gekonnt, als so kaltblütig zu sein, wie er war. Mike hätte niemals etwas anderes als ein Auftragskiller und liebender Großvater sein können. Jeder von ihnen kannte seinen Platz, vom Madrigal-Abteilungsleiter bis hin zum Kleinkind einer Crackhure. Doch rechtfertigt die Entwicklung von Walter und Jesse ihr friedliches Ende? Denn Walter bereut keinesfalls. Es scheint nicht mal mehr eine Rolle zu spielen. Das Universum hat vergeben und vergessen. So stirbt er zwar, aber in absoluter Einigkeit mit sich selbst, Zufriedenheit gar. Währenddessen tönt ein süffisantes "Guess I get what I deserve", als sei das alles nur ein Joke gewesen... Walter hat zwar seine Lügen eingestanden, aber er hat wohl kaum die Tragweite seiner Handlungen begriffen und wie vielen Menschen er das Leben genommen oder zur Hölle gemacht hat. Reue sieht man bei ihm keine, lediglich ein ganz unpersönliches Eingeständnis. "Es hat mir Spaß gemacht... So what?"
Das soll die Moral der Geschicht' sein?
Ich habe mir vieles vorgestellt, auch so eine Art "Happy End", in dem mehr Zeit darauf verwendet wird, einen strukturell unsinnigen Gegner in Form diverser Feindbild-Manifestationen aus dem Weg zu räumen, als sich mit der Seele der Charaktere und ihren Beziehungen zueinander zu beschäftigen. Das ist vielleicht auch der Natur des Westerns geschuldet...
Wobei, da stimme ich Legendairy absolut zu, war die starken Szenen die zwischen Walter und Jesse. Ich sehe es ganz genauso wie du; im Piloten startet die Erpressung, mit der Jesse gefangen genommen wird und im Finale endet sie - der Gefangene ist endlich frei. Starke und wahre, absolut zutreffende Worte. Das ist übrigens auch der Grund, wieso Jesse Walter nicht erschießt, was sich viele von euch ja wohl zu fragen scheinen. Jesse hat immer getan (mehr oder weniger), was Walter wollte. Er war weniger als unmündig, er war abhängig, Walter hörig. Wieso also sollte (der durch Leiden gereifte) Jesse seinem Erpresser den Gefallen tun und ihn erschießen? Er kann sich schließlich erst aus der Abhängigkeit befreien, indem er nicht tut, was Walter ihm befiehlt oder von ihm erwartet. Darin besteht die Reife und die Schwierigkeit des Frei seins: Eigene Entscheidungen zu treffen.
Doch Walter... er ist nicht so einfach... Ich seh ihn nicht als Opfer, aber auch nicht ausschließlich als Täter. Ich möchte keine Rache, ich will aber auch keine Vergebung. Ich gönne ihm den Tod und verdamme ihn gleichzeitig zu einem elendig langen Leben. Doch das sind die Gefühle, die ich als Fan habe und auch haben darf. Vince Gilligan aber hatte eine ganz andere Verantwortung und der ist er, das muss ich leider sagen, nicht ganz gerecht geworden. Sentimentalität hat sein Urteilsvermögen getrübt. Von all der Gnadenlosigkeit, die im Verlauf der Serie alle Charaktere getroffen hat, seien sie einsichtig oder uneinsichtig gewesen, traf Walter der Rückstoß am sanftesten. Oder kommt mir das nur wegen Walts Charakter so vor?
Ich bin heillos verwirrt...